Ein Vater sucht seine verschwundene Tochter, aber zu sehen ist nur ein Monitor mit Chats, Facetime-Videos, Instagram und Suchmaschinen. Searching ist ein Desktop-Film, der seine Bilder ausschließlich aus den Screens von Computern, Tablets und Smartphones zieht. Umso überraschender, dass dieser Film tatsächlich einer des besten Thriller ist, den ich in den letzten Jahren gesehen habe.
Searching kam Ende 2018 in die Kinos. Regie führte der 27-jährige Aneesh Chaganty, der bis dato keinerlei Erfahrung mit abendfüllenden Filmen aufweisen konnte. Ein Kenner des Genres war bei der Produktion jedoch an Bord: Tim Nuruachitowitsch. Der hatte bereits bei Unknown User, einem Horror-Desktop-Film aus dem Jahr 2014, mitgewirkt. Während dieser jedoch bei Publikum und Kritikern gleichermaßen eher mittelmäßig abschnitt, bekommt der Zuschauer mit Searching ein Werk präsentiert, welches Neugierig auf die Zukunft des Filmes macht.
Kurz und knapp
David Kim ist nach dem Tod seiner Frau alleinerziehend. Er kommuniziert mit seiner 16-jährigen Tochter Margot überwiegend online, sei es via FaceTime oder im Chat. Eines Nachts ruft Margot ihren Vater an als dieser bereits schläft. Am nächsten Morgen ist sie umgekehrt für David nicht erreichbar. Nachdem er sie auch untertags nicht erreichen kann, erkundigt er sich im Freundeskreis seiner Tochter. Aber hier bekommt er keine weiteren Informationen und so meldet er Margot als vermisst. David hilft der Polizei fortan bei den Ermittlungen, indem er beispielsweise Social-Media-Profile seiner Tochter nach Hinweisen über ihren Verbleib durchsucht. Dabei kristallisiert sich immer mehr heraus, dass er Margot niemals richtig kannte…
Was stört an Searching?
Searching kann meiner Meinung nach als rundum gelungener Thriller eingestuft werden, aber die ersten Minuten sind doch eher gewöhnungsbedürftig. Man ist mit dieser neuen Erzählart noch nicht sonderlich bekannt und daher erst einmal erschlagen, als die Szenen gefüllt von einem Computerbildschirm sind – und bleiben. Der Cursor hüpft auf dem Desktop hin und her, klickt auf dieses und jenes, Dateien öffnen und überlagern sich, Bilder werden aufgerufen und nur wenige Sekunden später wieder weggeklickt. Nach einigen Minuten hat man sich an die Inszenierung gewöhnt und ist bestenfalls bereit für dieses neue Filmexperiment – auch, weil die Story dann so richtig Fahrt aufnimmt.
Ohne zu viel vom Plot vorwegzunehmen, kann gesagt werden, dass das Verschwinden von Margot auch die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zieht. In diesem Zusammenhang werden nun Nachrichtenbilder gezeigt. Man merkt, dass die Macher an diesen Stellen nicht genau wussten, wie sie den Plot mit den technischen Charakteristika des Filmes kombinieren sollten. Mit der Weiterentwicklung der Handlung mussten sie dementsprechend Kompromisse eingehen, damit der Blick auf den Monitor gewährleistet bleibt. In diesen, zum Glück sehr seltenen, Momenten stockt der Erzählfluss etwas. Das Genre ist eben noch nicht perfekt durchdacht.
Was macht Spaß?
Eine große Stärke des Filmes liegt im Charakteraufbau der Figuren. Bereits in den ersten Minuten des Filmes, in denen Margots Leben von ihrer Geburt an ebenso wie die tödliche Krebserkrankung der Mutter Pamela in Bildern und Videos dokumentiert wird, entwickelt sich ein emotionale Bindung zwischen den Kims und dem Zuschauer. Das gelingt vor allem durch die unkonventionelle Erzählweise des Filmes. Uns wird unmittelbar präsentiert, was diese Familie bereits durchstehen musste, welchen Schmerz sie durchlaufen hat und wie sehr Pamela sowohl vom Vater wie auch von der Tochter vermisst wird.
Mit dem Blick auf den Monitor bekommen wir die innersten Gefühle und Gedanken der Protagonisten offenbart. Wir sehen nicht nur wie sie handeln, sondern erkennen auch, was sie wirklich denken. Etwa dann, wenn David in einem Chat mit seiner Tochter einen bereits getippten Satz wieder löscht und in leicht abgewandelter Form verschickt. Wir sind viel näher an den Figuren, als wir es vielleicht jemals zuvor waren, weil wir ihre situativen Emotionen, so kurzweilig diese auch sein mögen, miterleben.
Auf der Suche nach der wahren Identität und dem Aufenthaltsort der Tochter hält sich Chaganty strikt an die Regeln: Was an Handlung geschieht, geschieht ausschließlich auf dem Bildschirm. Wir sehen, wie der Vater Passwörter knackt, virtuell alle möglichen Bekannten seiner Tochter abklappert und dabei immer mehr verzweifelt. In dem Moment, in dem David eine neue Erkenntnis bekommt, hat sie auch schon der Zuschauer. Wir reagieren zeitgleich auf Ereignisse und Überraschungen und verarbeiten parallel neue Eindrücke. Das macht die ganze Geschichte noch intensiver.
Am meisten überzeugt Searching jedoch als Desktop-Thriller. Wir starten mit einer klassischen Story: Ein Kind ist verschwunden. Neu wird dieser Plot nun eben durch die Kombination mit dem Desktop-Genre, denn dieses garantiert, dass der Zuschauer die Handlung eben noch nie auf diese Art und Weise gesehen hat. Vor allem in der Beziehung zwischen David und Margot ist der Film sehr stark. Und – zumindest nach Meinung vieler Social Media- und Internet-Kritiker – trauriges Abbild der Realität. So sehen wir Vater und Tochter beispielsweise selten zusammen in einer Szene. Sie kommunizieren nur über FaceTime, Chat oder sonstige Technik. An dieser Stelle kann man an eine bewusst gewählte Doppeldeutigkeit des Filmtitels glauben, denn zum einen verweist “Searching“ auf die polizeiliche Suche nach Margot, zum anderen spielt der Titel aber auch auf Davids Suchen der wahren Identität der Tochter im Netz an. Denn nur hier offenbart sie ihr wahres Ich. Mit jedem Klick erfährt der Vater mehr über Margot und muss einsehen, dass er nichts über sie weiß. Und mit jedem Eintreffen eines neuen Hinweises spinnt sich die Geschichte weiter, bis sich die Ereignisse schließlich überschlagen und überzeugende Twists im Minutentakt folgen.
Fazit
Searching ist im Niveau seiner Machart revolutionär. Wir erleben hier eine komplett neue Bildsprache, die unfassbar viele Möglichkeiten, vor allem bezüglich der Gestaltung von Figuren, offenbart. Am Ende fängt dieser Film das Lebensgefühl der Ära Social-Media ein, indem er zum einen zeigt wie grausam die Netzwerke mitsamt der direkten Kommunikation sein können, zum anderen aber auch deren Nützlichkeit betont. Aber Searching funktioniert nicht nur wegen der innovativen Erzählweise. Auch ein tolles Ensemble und eine intelligente Handlung machen den Film zum vollen Erfolg. Jeder, der neugierig auf etwas Neues und bis dato Unbekanntes ist, sollte Searching eine Chance geben. Mich hat der Desktop-Thriller jedenfalls auf ganzer Linie überzeugen können!