Das Verschwinden von Madeleine McCann auf Netflix | Wo ist Maddie?

Netflix rollt mit seiner neuen achtteiligen Dokumentationsreihe Das Verschwinden von Madeleine McCann einen erschütternden Kriminalfall auf, der die Welt in Atem hält.

Zunächst möchte ich eine Sache klar stellen: In diesem Beitrag wird es nicht darum gehen, Schuldige zu benennen oder mit dem Finger auf jemanden zu zeigen. Es soll lediglich die Machart und der Inhalt der Dokumentarreihe besprochen werden.

Eine Beurteilung will ich mir allerdings erlauben: In Das Verschwinden von Madeleine McCann kommen wirklich viele Menschen zu Wort, doch zwei entscheidende fehlen: Die Eltern von Madeleine. Sie haben verweigert, an der Dokumentation mitzuwirken, verurteilen sie laut mehreren Berichten von Boulevardzeitungen sogar. Ich finde es sehr problematisch, den Wunsch von den Menschen, die von dem Verschwinden am meisten betroffen sind, nicht zu achten. Sie wollten nicht, dass Netflix diesen Fall aufgreift – aus welchen Gründen sei dahingestellt. Dieser Wunsch wurde nicht beachtet – und so startete am 15. März 2019 die Dokureihe.

Madeleine McCann, genannt Maddie, ist drei Jahre jung, als sie 2007 im Portugalurlaub an der Algarve aus dem Appartement verschwindet. Bis heute fehlt jede Spur von ihr. Der Fall wurde vor allem durch die Suchaktivitäten ihrer Eltern Kate und Gerald McCann und das dadurch befeuerte Medieninteresse weltweit bekannt.

Die Macher von Das Verschwinden von Madeleine McCann lassen den Zuschauer alles wieder von vorne erleben: Die Wendungen im Kriminalfall und die damit einhergehende Meinungsänderung der Medien und der Öffentlichkeit. Es beginnt mit der überwältigenden Anteilnahme, als bekannt wird, dass die kleine Madeleine verschwunden ist, geht über in Zweifel ob der Aussagen ihrer Eltern und endet in einer regelrechten Verteufelung dieser.

Die Gründe hierfür legt Netflix natürlich auch dar – verhält sich hierbei jedoch ungewohnt und angenehm neutral. Diese Dokureihe ist keine Meinungsmache im Stile von Making a Murderer . Die Macher sind Beobachter, keine Richter.

Und so gehen wir als Zuschauer erneut den Weg, den die Öffentlichkeit vor mittlerweile zwölf Jahren ebenso gegangen ist. Es beginnt mit der Frage, welche Eltern ihre Kinder im Urlaub abends unbeaufsichtigt im Hotel zurücklassen, um in Ruhe mit Freunden Abendessen zu gehen. Dass das Restaurant in Sichtweite des Zimmers liegt und alle 30 Minuten ein Erwachsener den Tisch verlässt, um nach den Kindern zu sehen – das alles ist irrelevant. Mit der Veröffentlichung dieser einen, ersten Tatsache beginnen bereits Menschen an dem Verantwortungsbewusstsein der McCanns zu zweifeln.

Und so skizziert die Dokumentation den Weg von der ersten Skepsis bezüglich der Aussagen der McCanns, weil diese sich teilweise widersprechen, bis zum scheinbar konkreten Verdacht gegen die Eltern: Blut- und Leichenspürhunde schlagen im Appartement ebenso wie im Mietwagen der McCanns an.

Liest man Rezensionen über die Dokumentation, so wird häufig genau dieser Moment als ausschlaggebend für die Meinung, die Eltern wären schuldig, angegeben. Und ich muss gestehen, dass auch ich in diesem Moment davon überzeugt war. Aus einem ganz einfachen Grund: Hunde sind neutral. Sie wollen niemanden schützen oder verurteilen. Sie machen in diesem Moment einfach nur ihren Job, sie schnüffeln nach Leichengeruch. So weit, so eindeutig also, oder? Nein, eben nicht. Und das bestätigt sogar der Hundeführer. Denn das alleinige Riechen von Leichengeruch knüpft noch lange keine Verbindung zu Madeleine und macht die Eltern dementsprechend nicht sofort zu Tätern. Hunde, die in diesen Gebieten ausgebildet sind, können Spuren jahrzehntelang riechen. Vielleicht ist in dem Hotelzimmer mal jemand gestorben, wer weiß. Zur Entkräftigung des Verdachtes gegen die Eltern kommt außerdem die Tatsache hinzu, dass die Eltern das Mietauto erst drei Wochen nach dem Verschwinden ihrer Tochter gemietet haben. Dass der Leichengeruch zu diesem Zeitpunkt also noch von ihnen und ihrer Kleidung ausgeht, ist mehr als unwahrscheinlich.

Aber die Medien und die Öffentlichkeit hören nur diesen einen Satz: Durch Spürhunde wurde Leichengeruch im Mietwagen und im Appartement der McCanns gefunden. Und die Hetzjagd beginnt. Was man Netflix meiner Meinung nach an dieser Stelle vorwerfen kann, ist, dass sie den Zuschauer in diesem Moment auch auf diese Seite ziehen. Auch wir bekommen zunächst nur diesen Satz präsentiert, müssen also auch denken, dass die McCanns schuldig sind – bevor wir – noch nicht einmal in derselben Folge – den Nachschub präsentiert bekommen, der die Aussage stark relativiert. Davon mag man halten, was man will, für mich persönlich sind solche Momente die schwachen dieser Dokumentation.

Doch es gibt auch starke Momente. Die geschehen immer, wenn die McCanns aus dem Fokus rücken und andere Menschen zu Wort kommen. So werden beispielsweise Interviews mit zwei Männern geführt, die anfangs als verdächtig galten, Madeleine entführt oder gar getötet zu haben. Sie erklären, wie sie die Anschuldigungen erlebten und inwiefern diese ihr Leben bis heute nachträglich beeinflussen.

In diesem Momenten zeigt die Dokumentation eindrucksvoll, dass es mehr als nur ein Opfer in diesem Fall gibt. Mehrere Menschen mussten unter den teils stümperhaft wirkenden Ermittlungsmethoden der portugiesischen Polizei und unter dem Medieninteresse leiden, auch die McCanns selbst. Denn das wird ganz deutlich: Die Aussicht auf Ruhm macht Menschen zu Monstern. Da sind diese unempathischen Menschen, die Ausnutzen, dass die McCanns die Medien so stark auf der Suche nach ihrer verschwundenen Tochter einspannen und die – so wirkt es für den Zuschauer – einfach nur einen Platz im Scheinwerferlicht ergattern wollen. Und sei dies auch auf Kosten eines verschwundenen Mädchens. Es sind Journalisten, PR-Berater, Privatermittler.

Abschließend möchte ich noch auf die für mich bedrückendste Szene von Das Verschwinden von Madeleine McCann eingehen. Die Macher der Dokureihe interviewen viele Ermittler, die die Meinung vertreten, dass Madeleine Opfer von Menschenhändlern wurde. So betont der im Auftrag der Familie McCann agierende Privatermittler Julian Peribanez, dass der Wert, den Madeleine durch ihre britische Herkunft hat, sehr hoch in solchen Kreisen anzusiedeln sei. Bezüglich dieser Vermutung wird nun die Mutter von Rui Pedro gezeigt. Im Zuge der Zerschlagung eines Pädophilenrings werden hunderte Bilder sichergestellt. Diese sieht sich die Frau nun an, sie sucht in den dicken Aktenordnern nach dem Gesicht ihres Sohnes… denn dieser ist vor Jahren verschwunden, wurde zuletzt am 4. März 1998 im portugiesischen Lousada gesehen. Er ist bei seinem Verschwinden elf Jahre alt. Die Mutter wird das Gesicht ihres Sohnes entdecken, sie wird Gewissheit haben. Doch in diesem Moment muss man sich fragen, ob die Gewissheit der Mutter von Rui Pedro wirklich beruhigender als das Ungewisse der McCanns ist.

Netflix präsentiert in Das Verschwinden von Madeleine McCann vor allem zwei Lager: Eines, welches die Meinung vertritt, dass die Eltern – auf welche Art und Weise auch immer – in das Verschwinden ihrer Tochter involviert sind und eines, welches die Eltern für vollständig unschuldig hält. Die Menschen waren auch vor der Doku bereits in diese zwei Seiten geteilt, daran hat sie nicht gerüttelt – aber das Wichtigste ist doch, dass dieser Fall nach 12 Jahren wieder ins Gedächtnis gerufen wird. Und hoffentlich neue Hinweise zum Aufenthalt der heute mittlerweile 15-jährigen Madeleine eingehen.

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