Rammstein und die Aufregung um ihr neues Musikvideo zur Single Deutschland 

Nach zehn Jahren Pause veröffentlichen Rammstein ihr neues Musikvideo – und ganz Deutschland diskutiert. Ob die ganze Aufregung gerechtfertigt ist, will ich in diesem kurzen Beitrag herausfinden.

Worum geht es? Die Band steht in der Kritik für eine spezifische Szene in ihrem neuen Musikvideo. In dieser stehen die Bandmitglieder in KZ-Sträflingskleidung vor Galgen des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora. Das ist unter anderem an der im Hintergrund aufsteigenden V2-Rakete erkennbar.

Die Reaktionen fallen vernichtend aus. So sieht Charlotte Knobloch, Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, in der Inszenierung Rammsteins eine klare Grenzüberschreitung. Sie erörtert: „Wer den Holocaust und die Millionen Ermordeten als Marketing-Gag instrumentalisiert, der geht zu weit, egal in welchem Rahmen […]. So eine Trivialisierung schadet am Ende unserer Erinnerungskultur und befördert dann Vorurteile und eine Normalisierung von Antisemitismus.“ Ein weiterer Kritiker findet sich im Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, der erklärt, dass „der Wert dieses Videos als künstlerische Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und Deutschland als Vaterland […] weit unter Null“ liege. Sogar die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem veröffentlichte ein Statement zu dem Video. In diesem wird erklärt, dass man sich einen verantwortungsvollen künstlerischen Umgang mit dem Holocaust wünsche.

Natürlich sind die Szenen, die man sich in Deutschland anschauen kann, schrecklich und verstörend. Aber genau so sollen sie sein. Rammstein verharmlost in diesem Video nicht etwa die Taten der Nazis, im Gegenteil: Die Band geht nicht nur mit dieser Zeit Deutschlands, sondern mit dessen gesamter Geschichte hart ins Gericht.

Rammstein hangeln sich an verschiedenen Stationen der deutschen Geschichte entlang und beginnen dementsprechend mit dem Gründungsmythos der Deutschen, der Varusschlacht. Germanien besteht zu dieser Zeit aus vielen verschiedenen Völkern, die untereinander teilweise sogar verfeindet sind. Einen übergeordneten Herrscher gibt es nicht. Doch dann kommt es für diese eine Schlacht gegen die Römer zum Zusammenschluss der Völker. Deutschland ist geboren. Und bereits in dieser ersten Szene des Videos nehmen die Musiker den Nationalsozialisten, die den Song als Hymne verstehen wollen, den Wind aus den Segeln. Denn in der Schlacht tritt Germania, die Personifikation Deutschlands auf – in Form einer dunkelhäutigen Frau. Sie wird auch in allen anderen Etappen zu sehen sein, Germania begleitet die Band durch das Video und das Aufarbeiten der deutschen Geschichte.

Bei den Recherchen zu diesem Beitrag ist in mir immer wieder das Gefühl aufgekommen, dass bei der Analyse des Videos der Text außer Acht gelassen wird. Dies kann tatsächlich nur als fahrlässig eingestuft werden, finden sich beispielsweise im Refrain folgende Zeilen:

Deutschland – mein Herz in Flammen
Will dich lieben und verdammen
Deutschland – dein Atem kalt
So jung – und doch so alt
Deutschland – deine Liebe
Ist Fluch und Segen

In diesen Zeilen wird eindeutig eine Zerrissenheit angesprochen. So möchte man zum Beispiel sein Heimatland lieben, dies ist jedoch unmöglich, bedenkt man all die Gräueltaten, die im Namen dieses Landes bereits begangen wurden. Und in diesem Kontext macht das Video Sinn. Es greift die Ungeheuerlichkeiten auf. Das gilt natürlich auch für die viel diskutierte Szene im KZ. So singt Lindemann kurz danach:

Deutschland – meine Liebe
Kann ich dir nicht geben

Es ist nicht der Stolz auf das Vaterland und das Relativieren seiner Geschichte. Vor allem nicht, wenn man den gewählten Handlungsraum bedenkt. Das KZ Dora-Mittelbau ist ein Ort, der, geografisch betrachtet, ziemlich in der Mitte Deutschlands liegt – und trotzdem sollen die dort begangenen Gräueltaten der Nazis ohne das Wissen der Bevölkerung stattgefunden haben. Diesen Ort zu nutzen, ist ein Aufruf dafür, für seine Geschichte und seine Taten Verantwortung zu übernehmen.

Ich verstehe, dass sich manche Menschen an der Machart dieses Videos stören. Was ich aber nicht verstehe, ist der Vorwurf an die Band, man wolle sich nach zehn Jahren mit einem kontroversen Video lediglich wieder zurück in die Schlagzeilen katapultieren. Dieser Vorwurf spricht Rammstein ab, irgendein Ziel außerhalb von Provokation erreichen zu wollen. Dafür ist das Musikvideo meiner Meinung nach viel zu durchdacht und detailreich produziert. So erkennt man beispielsweise in der KZ-Szene, dass die Bandmitglieder an ihrer Sträflingsuniform verschiedene Abzeichen tragen, die sie als homosexuelle, jüdische oder politische Gefangene einordnen. Rammstein möchte die Geschichte erzählen, in all ihren Facetten. Wenn Lindemann in dieser Szene singt

Überheblich, überlegen
Übernehmen, übergeben
Überraschen, überfallen
Deutschland, Deutschland über allen

so gibt er das Gedankengut vieler Deutscher im Laufe der Geschichte – und leider auch heutzutage – wieder, glorifiziert dieses jedoch nicht.

Bei all der Diskussion könnte man fast vergessen, dass das Musikvideo aus mehr als dieser einen Szene besteht. Doch Rammstein klappern noch weitere Stationen der deutschen Geschichte ab. In diesem Sinne verkleiden sie sich als SED-Politiker, als Kreuzritter, als RAF-Terroristen und so weiter. Sie spielen die vielen dunklen Etappen der deutschen Geschichte nach und picken sich nicht nur die kontroverseste heraus.

Die Band will mit Deutschland meiner Ansicht nach auf die Gespaltenheit des Landes hinweisen. Und das auf zwei Ebenen. Zum einen existiert – wie in den letzten Jahren leider wieder deutlich wurde – ein Spalt innerhalb der Einstellung und Moralvorstellung der Gesellschaft. Und das bringt uns zum zweiten, viel größeren Punkt: Woher bekommt dieses Land seine Identität, wenn es doch geschichtlich und menschlich so gespalten ist? Wie kann man die Verachtung für die eigene Geschichte und das Bedürfnis, eine Identität aus dieser zu ziehen, zusammenbringen?

Im Kontext des Videos ist die KZ-Szene also zwar als erschreckend und erschütternd zu beurteilen, verfolgt allerdings ein Ziel. Eine Verurteilung in der Gesamtbetrachtung halte ich dementsprechend nicht für gerechtfertigt. Für diskutabel halte ich jedoch eine andere Aktion der Band: Vor dem Veröffentlichen des Videos wurde auf den sozialen Netzwerken ein Snippet von 30 Sekunden veröffentlicht, um die Menschheit auf die neue Single einzustimmen. Und welche Szene wird hierfür verwendet? Richtig, die KZ-Szene. In diesem Fall kann man mutmaßen, dass bloßes Kalkül hinter der Aktion steckt. Rammstein wollten vielleicht wirklich sichergehen, dass sie auch nach zehn Jahren noch beachtet werden und tragen dies in diesem Moment meiner Meinung nach tatsächlich auf dem Rücken der Opfer der Nationalsozialisten aus. Doch mehr kann man der Band meiner Meinung nach nicht vorwerfen. Im Kontext des gesamten Videos macht die Szene allerdings Sinn. Und auch wenn es an vielen Stellen aneckt, ist das nicht die Aufgabe von Kunst?

Für alle, die sich nun fragen, warum denn auf der einen Seite die Nutzung des Holocausts in Ordnung oder gar als künstlerisch wertvoll zu bewerten ist – wie im Falle von Rammstein – und auf der anderen Seite direkt für Antisemitismus und Nationalismus spricht – wie im Fall der Rapper Kollegah und Farid Bang – denen sei ganz kurz erklärt: Im Gegensatz zu den beiden Rappern erzählen Rammstein eine Geschichte mit Mehrwert und brauchen nicht bloß einen billigen Reim.

Deutschland ist ein Musikvideo auf Spielfilmniveau, welches bewirkt, dass sich Menschen mit der Dunkelheit der deutschen Geschichte auseinandersetzen – und wenn dies nur so ist, weil sie von der Diskussion um das Video gehört haben und sich von ihm provoziert fühlen.

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